Assistive Regelung
Das allgemeine Ziel der assistiven Regelung ist es das unterschiedliche Verhalten der Patienten bei der Therapie zu berücksichtigen um dadurch den Patienten zu ermöglichen sich möglichst aktiv an der Therapie zu beteiligen. Gleichzeitig muss die Regelung allerdings auch die benötigte Unterstützung bieten um die Patienten im Falle unzureichender Muskelkraft entsprechend zu entlasten. Um die Patienten bei der Therapie auch noch zu motivieren möglichst viel eigene Energie für die Bewegung aufzubringen, muss die Regelung weiterhin ständig versuchen die durch SE_BURG aufgebrachte Kraft soweit wie möglich kontinuierlich zu reduzieren. Eine weitere Herausforderung ist die Berücksichtigung von dem sich ständig änderndem Potential zur Kraftaufbringung der Patienten im Laufe der Behandlung.
Da die pneumatischen Soft-Biegeantriebe über keine festen mechanischen Rotationsachsen verfügen, können keine herkömmlichen in der Robotik verwendeten Sensoren wie Potentiometer oder Inkrementalgeber verwendet werden. Aus diesem Grund können ebenfalls die Antriebsdrehmomentcharakteristiken nur sehr schwierig bestimmen werden, wodurch eine direkte Schätzung der Antriebsdrehmomente basierend auf experimentell bestimmten Drehmomentcharakteristiken nicht durchgeführt werden kann. Da außerdem auch keine häufig sehr kostspieligen Drehmomentsensoren verwendet werden sollen, ist auch eine individuelle Schätzung der Massenparameter der menschlichen Extremitäten sehr schwierig. Aus diesem Grund können die im Vorgängerprojekt KoBSAR I und II entwickelten Regelungskonzepte [Diss] nicht verwendet werden und es wurden zwei alternative Konzepte entwickelt. Die entwickelten Regelungskonzepte werden in den nächsten Abschnitten beschrieben und wurden Teilweise bereits veröffentlicht [ICORR 2015].
Adaptive Assistive Regelung basierend auf Funktionsapproximation mit Radialen Basisfunktionen
Das erste entwickelte Konzept beruht auf der im KoBSAR-II Projekt entwickelten Regelung aACFA [Diss] und wurde für die Verwendung von achsenlosen Soft-Biegeantrieben weiterentwickelt. Die entwickelte Regelung schätzt on-line, ohne die Verwendung von Drehmomentsensoren oder –charakteristiken, ein dynamisches Modell der jeweiligen individuellen menschlichen Extremität und passt sich dadurch kontinuierlich an das Verhalten und die Kraftaufbringung der Patienten an. Hierdurch ist es möglich das individuelle Verhalten der Patienten gezielt zu berücksichtigen, sie zu führen, aber nur so wenig wie nötig zu unterstützen, wodurch sie ständig gefordert werden möglichst viel Kraft für die Bewegung aufzubringen. Die allgemeine Struktur der entwickelten adaptiven assistiven Regelung für SE_BURG Demonstratoren ist in der Abbildung gezeigt.
Das adaptive inverse dynamische Modell der menschlichen Extremität beruht auf einer Funktionsapproximation mit Radialen Basisfunktionen, die durch das Adaptierungsgesetz der Regelung kontinuierlich on-line angepasst werden. Dieses Gesetzt verfügt zusätzlich über einen „Vergessensfaktor“ (engl.: forgetting factor), der dafür sorgt, dass die Regelung einen Teil der Unterstützung kontinuierlich „vergisst“ und dadurch ständig versucht, bei aktivem Patientenverhalten, die Unterstützung zu reduzieren. Untergelagert ist dieser Regelung eine hochdynamische Druckregelung, die eine schnelle Reaktion der übergelagerten assistiven Regelung ermöglicht.
Erste Untersuchungen der Regelung wurde auf dem Versuchsstand (Grundmodul mit Beinmodell) durchgeführt und vorerst mit einem längeren Biegesensor zu Erfassung des gesamten Antriebswinkels als Positionssensor realisiert und nach der Integration kürzerer Flex-Sensoren zur Erfassung der Winkel jedes einzelnen Antriebssegmentes an die neue Sensorik angepasst. Anschließend wurde sie für das SE_BURG-Funktionsmuster assistiver Ellbogentrainer (siehe Abbildung) implementiert und ausführlich getestet. Für eine robuste und möglichst genau Erkennung der Position des Soft-Biegeantriebes wurde eine Positionsschätzung basierend auf einer Signaldatenfusion von IMU-Signalen und Signalen von Flex-Sensoren in Kombination mit künstlichen neuronalen Netzen entwickelt und implementiert.
Ausgewertete experimentelle Ergebnisse sind in der Abbildung dargestellt. Gezeigt ist der Mittelwert und die Standartabweichung von vier Experimenten. Im oberen Plot ist die aktuelle Position gezeigt und im unteren Plot die aufgebrachten Kammerdrücke, die als ein Maß für die aufgebrachte Unterstützung betrachtet werden können. Aufgabe der Probanden war es sich in der ersten Phase, für zwei Zyklen, möglichst passiv zu verhalten, und danach versucht sich möglichst aktiv zu bewegen und möglichst viel eigene Energie für die Bewegung aufzubringen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die aufgebrachte Unterstützung (Kammerdrücke) in der aktiven Phase deutlich reduziert, wodurch sich ergibt, dass die Probanden den Hauptteil an notwendiger Kraft für die Bewegung eigenständig aufgebracht haben.
Die Schwankungen in der Standartabweichung zeigen die individuelle Anpassung der Regelung an unterschiedliches aktives Verhalten bei den vier durchgeführten Experimenten. Um eine schnelle Adaption an das individuelle Patientenverhalten zu ermöglichen sind für diese assistive Regelung hochdynamische Servoventile (MPYE-5-1/8LF-010-B, FESTO AG & Co. KG) erforderlich, für die eine modelbasierte hochdynamische Druckregelung entwickelt wurde [Diss]. Hierdurch ergibt sich allerdings ein sehr hoher Luftdruckverbrauch für SE_BURG Demonstratoren, wodurch dieses Konzept für mobile Anwendung sowie für die Verwendung im Heimbereich ungeeignet ist.
Unterstützungsregelung basierend auf Adaptiver Soll-Trajektorie
Um ein assistives Verhalten bei einem geringen Druckluftverbrauch zu erhalten, wurde ein alternatives Konzept basierend auf kostengünstigen pneumatischen Proportionalventilen entwickelt. Einsatz finden Proportionalventile der Fa. Kendrion N.V. Group (Kuhnke Ventile), die komplett schließen können und damit eine Realisierung ohne Toddurchfluss ermöglichen. Dadurch weisen sie einen wesentlich geringen Luftverbrauch auf und bieten die Möglichkeit die notwendige Druckluftmenge für den Betrieb von SE_BURG Demonstratoren weitgehend zu reduzieren, was die Anwendung eines mobilen Kompressors ermöglicht und besonders für die Nutzung außerhalb von Kliniken vorteilhaft sein wird.
Weiterhin wurde untersucht, ob anstelle des Einlassventiles auch eine lokale pneumatische Miniaturpumpe verwendet werden kann, um komplett unabhängig von einer externen Druckluftquelle zu sein. Die entwickelte Unterstützungsregelung basierend auf einer adaptiven Soll-Trajektorie ist in der Abbildung dargestellt. Die Abbildung zeigt die Realisierung mit zwei Proportionalventilen und die Realisierung mit einer pneumatischen Miniaturpumpe (620 EC-BL-DU-DV, Schwarzer Precision GmbH & Co. KG) in Einlassrichtung und einem Proportionalventil in Auslassrichtung.
Die aktuelle Position des Antriebes wird über KNN geschätzt. Die Unterstützungsregelung basiert auf einem PI-Regler in Kombination mit einer adaptiven Soll-Trajektorie. Die natürliche Nachgiebigkeit der pneumatischen Soft-Antriebe bietet bereits eine generelle Interaktionsmöglichkeit zwischen Mensch und Roboter. Diese grundlegende Eigenschaft von SE_BURG ermöglicht es, die Aktivität des Probanden zu erkennen und in Abhängigkeit von dessen Kraftwirkung die Soll-Trajektorie über ein entsprechendes Adaptionsgesetz [Publ] anzupassen. Als Basis-Soll-Trajektorie wird eine „Minimum-Jerk“ Trajektorie verwendet um eine möglichst sanfte Bewegungsvorgabe zu erhalten. Diese Trajektorie wird dann in Abhängigkeit von der Patientenbewegung im Betrieb online adaptiert. Hierdurch ergibt sich eine ausreichende Unterstützungskraft bei passivem Verhalten der Probanden, sowie eine Reduzierung der Unterstützung bei aktivem Probandenverhalten. Außerdem ermöglicht die Adaption der Soll-Trajektorie den Probanden eine zeitlich freie Bewegung in die gewünschte Richtung durchzuführen, ohne den Probanden eine bestimmte Trajektorie aufzuzwingen. Bei einer Reduzierung der Probandenaktivität wird er wieder auf die online angepasste Trajektorie geführt, sodass er entsprechend unterstützt wird.
Die entwickelte Regelung wurde für das klinikreifen Erprobungssystems SE_BURG auf PC-104-Basis implementiert. Die experimentellen Ergebnisse mit dem Erprobungssystem und einem gesunden Probanden sind exemplarisch in der Abbildung gezeigt. In der ersten Phase (von 0 bis ca. 45.s), während der ersten drei Zyklen, verhielt sich der Proband passiv und die Unterstützungsregelung erhöht und reduziert den Kammerdruck im Antrieb so, dass sich eine sanfte aber kraftvolle Unterstützung und Bewegungsführung durch SE_BURG ergibt, wie die Druckverlaufkurve (untere Grafik) zeigt. Während der nächsten 3 Zyklen (ab ca. 46.s bis ca. 80.s) hat der Proband seine Aktivität erhöht und es ergibt sich eine Adaption der Soll-Trajektorie, wodurch sich ein geringerer Kammerdruck und damit eine reduzierte Unterstützung einstellt. Hierdurch bekommt der Proband die Möglichkeit eigene Kraft für die Bewegung aufzubringen und auch die Geschwindigkeit seiner Bewegung selbst zu bestimmen ohne vom Therapieroboter geführt zu werden. Anschließend, während der nächsten 3 Zyklen (ab ca. 81.s bis ca. 110.s), hat sich der Patient so aktiv wie möglich verhalten und versucht die Bewegung komplett eigenständig auszuführen. Die Soll-Trajektorie wird weiterhin zu dem Patientenverhalten adaptiert und die von SE_BURG geleistete Unterstützung wird minimal, der Kammerdruck im Antrieb wird fast auf Null reduziert. Der Proband muss somit das Gewicht seiner Extremität selber tragen und kann die Geschwindigkeit seiner Bewegung vorgeben, was zu einer Motivationssteigerung führen kann.
Das alternative Konzept mit der Verwendung von der pneumatischen Miniaturpumpe wurde mit dem Funktionsmuster assistiver Ellbogentrainer getestet. Weiterhin wurde hier untersucht, inwieweit die entwickelte Unterstützungsregelung auf Basis eines Mikrokontrollers (Arduino Due) realisiert werden kann, da so ein wesentlich günstigeres Steuergerät realisiert werden könnte. Hierzu gehört ebenfalls die Signalverarbeitung mittels KNN. Die Vergleichsuntersuchungen zeigen ein ähnliches assistives Verhalten des SE_BURG-Demonstrators auch bei der Verwendung von Mikrocontrollern, wodurch die Entwicklung von kosteneffektiven SE_BURG ohne externe Druckluftversorgung ermöglich wird.